Profi Andre Begemann trainiert beim ATC

Der frühere Davis-Cup-Spieler Andre Begemann wohnt in Altenhain und hält sich seit kurzem auf unserer Tennisanlage fit. Nach der Corona-Zwangspause hofft er auf ein Comeback auf der Profi-Tour.

 

Der Altenhainer Tennis-Club gehört gewiss zu den kleineren Tennisclubs im Umkreis. Knapp 120 Mitglieder, in diesem Jahr zwei Jugend- und drei Senioren-Mannschaften, die vier Plätze verstecken sich idyllisch im Grünen – ein typischer Freizeitclub. Kein Mitglied und erst recht kein Kenner des regionalen Tennissports hätte sich vorstellen können, dass hier auf den grünen Canada-Tenn-Plätzen jemals Profis ihrem Sport nachgehen würden.

Doch das tennistypische Geräusch klingt an diesem Morgen nach Schlägen, die härter und satter sind als die eines Normalspielers. Es ist kurz nach 11 Uhr und über Platz eins halten die hier häufig tief fliegenden Vögel lieber Respektabstand. Denn die Bälle zischen mit Höchstgeschwindigkeit über das Netz und landen doch fast immer genau dort, wo sie es sollen. Auf der einen Seite steht Andre Begemann, auf der anderen Julian Lenz. Begemann ist 35 Jahre alt, hat zwei Davis-Cup-Einsätze (2014 und 2015 jeweils gegen Frankreich) und vier Doppel-Titel auf der ATP-Tour als Karriere-Highlights vorzuweisen. Julian Lenz war viele Jahre lang Spitzenspieler des TC Bad Homburg, ist zu dieser jetzt abgesagten Bundesliga-Saison zum Deutschen Meister Grün-Weiß Mannheim gewechselt und will mit 27 als Profi noch einiges bewegen. In der Weltrangliste steht er auf Platz 251, während Andre Begemann sich seit Jahren mehr aufs Doppel konzentriert und dort nach vier Titeln auf der „zweitklassigen“ ATP Challenger-Tour im vergangenen Jahr wieder unter den besten 100 der Welt geführt wird. Seine höchste Platzierung war 36 im Mai 2015, im Einzel war er nach seinem späten Karrierestart mit 23 Jahren schon zwei Jahre später (2010) mal die Nummer 166 der ATP-Weltrangliste.

Andre Begemann und Julian Lenz vor dem ATC Clubhaus

Andre Begemann und Julian Lenz vor dem ATC Clubhaus

Wer jetzt von wem der „Hitting-Partner“ ist, tut nichts zur Sache, jedenfalls kommt Lenz mehrmals in der Woche extra aus Gießen, um wieder richtig Tennis spielen zu können. Denn es war sein Kumpel und zwischenzeitlicher Doppel-Partner Begemann, der in der Zeit der geschlossenen Sportanlagen als Erster einen Schlüssel zu einem Tennisplatz ergattern konnte – eben beim ATC. Vor genau einem Jahr ist Andre Begemann mit Ehefrau Alessa von seinem zwischenzeitlichen Domizil in Königstein in den kleinsten Bad Sodener Stadtteil ungezogen, nachdem er ein Haus gefunden und mit viel Eigenleistung umgebaut hatte. „Ich wollte ländlicher wohnen, den Tank auffüllen können, nachdem ich lange Zeit in Großstädten gelebt habe“, sagt er und ergänzt: „Die Lage ist perfekt ­ aus unserem Schlafzimmer sehen wir die Frankfurter Skyline und mit dem Auto bin in zwölf Minuten am Flughafen.“ Ein echtes Argument für einen Tennisprofi, der bis zu elf von zwölf Monate im Jahr auf Tour ist.

Das „Ploppen“ der Tennisbälle konnte er zwar gelegentlich von zu Hause aus hören, aber fast ein Jahr lang ließ er die Anlage quasi vor seiner Haustür etwas unbeachtet links liegen. Er war ja auch noch voll auf der Tour, um nach Verletzungspausen zu sehen, wie weit er es im fortgeschrittenen Alter noch nach oben schafft „Zu Beginn des Corona-Shutdowns habe ich dann mal eine Runde um die Plätze gedreht. Ich dachte immer, es wäre ein Hartplatz, doch sah ich den Green Clay.“ Dieser in Deutschland seltene, schön zu spielende Untergrund ist in Nordamerika neben dem Hardcourt der Standard, auch bei Turnieren.

Das Interesse war geweckt und so klopfte Begemann, als die Öffnung der Sportanlagen für Profisportler näher rückte, beim Altenhainer TC an. Mit dem ATC-Vorsitzenden Hans Wortmann stimmte die Chemie sofort, denn der Zufall wollte es, dass beide nicht nur gebürtig aus der westfälischen Handball-Hochburg Lemgo stammen, sondern auch beim dortigen TC Blau-Weiß mit Michael Koderisch einst den gleichen Trainer hatten. Der Profi kann sich vorstellen, künftig mehr im Verein zu machen, zum Beispiel mit der Jugend, mit der er bei Camps auf der Anlage des TC Königstein und als Botschafter der Rollstuhl-Tennis-Initiative Breakchance schon arbeitete.

Spaß soll es den Kindern machen, lautet seine Devise. So wie es bei ihm selbst einst war. Er stammt aus einer Fußballerfamilie, der Vater spielte in der höchsten Amateurliga und Tennis war zunächst kein Thema. Erst mit sieben Jahren hatte Andre das erste Mal einen Schläger in der Hand, mit einem Freund aus der Nachbarschaft schlug er den Ball über eine Wäscheleine als Netz. Danach ging es sehr schnell, Koderisch meldete ihn bald zum Bezirkstraining an, der Rest ist kleine Tennis-Geschichte. „Der Spaßfaktor war bei mir sehr groß, ich konnte nie genug kriegen.“

Im Moment steht Andre Begemann vier bis fünf Mal in der Woche in Altenhain auf dem Platz, „in erster Linie zum Spaß“. „Wenn man so lange nicht gespielt hat, ist es egal, ob der Ball etwas höher abspringt oder man etwas weniger rutscht“, vergleicht er Canada-Tenn mit der roten Asche, auf der zurzeit fast jedes europäische Turnier gespielt würde. Gezieltes Training mit seinem Trainer Gideon Hilb aus Seulberg, der früher Alexander Waske betreute, hat er noch nicht wieder begonnen. Die Corona-Pause traf auch Andre Begemann zur Unzeit. „Nach drei Operationen am Ellenbogen konnte ich letztes Jahr mit meinem neuen Partner Florin Mergea wieder richtig angreifen“, erzählt er. Der hatte 2016 beim Olympischen Tennisturnier in Rio de Janeiro sogar im Silber-Doppel gestanden.

Durch die jetzt wieder einstellige Weltranglisten-Position ist Andre Begemann auch wieder in einen Bereich vorgestoßen, um die Qualifikation für Grand-Slam-Turniere spielen zu können. „Solche Turniere sind tolle Erlebnisse ­ und für mich als einer, der nie vom Tennis getrieben war, ein Geschenk“. Doch an eine Austragung der US-Open und der French Open trotz neuem Termin glaubt er nicht, auch die für ihn üblichen Ligaspiele in Deutschland und Frankreich sind abgesagt. „Wenn das Go kommt, geht es sofort wieder los“, sagt er im Herbst seiner Karriere noch immer voller Tatendrang. „Natürlich haben wir Spieler alle finanziell Riesen-Einbußen“, sagt Begemann, der laut ATP-Homepage bislang ein Karriere-Preisgeld von 828.000 US-Dollar eingespielt hat.

Bei ihm ist die Situation freilich um einiges besser als bei Kollegen wie Julian Lenz. Denn die Karriere nach der Karriere hat Andre Begemann schon begonnen. Seit vergangenem Herbst leitet er die Postbank-Filiale in Königstein mit 15 Mitarbeitern. Der Mann, der an der Pepperdine University in Kalifornien einen Abschluss in Major Business Administration gemacht hat, interessiert sich zudem für Vermögensverwaltung für Firmen und Profisportler. Auch wenn er zu gerne nochmal ausfliegen würde in die große Tennis-Welt, so scheint Andre Begemann in Altenhain, vielleicht auch im ATC, eine Heimat gefunden zu haben.

(Text und Fotos: Schramm)